Erleuchtung ist ein großes, geheimnisvolles Wort. Denn wer kann schon von sich behaupten, erleuchtet zu sein? Aber vielleicht müssen wir dieses Wort mit einer neuen Bedeutung belegen, es von seiner Überhöhung zurückholen und zwar ins Hier und Jetzt. Denn Erleuchtung findet im Kleinen statt und will bzw. kann ent-deckt werden: So erklärt es uns Doris Iding in ihrem neuen Buch „Erleuchtet in drei Atemzügen“ ( ISBN 978-3-424-15404-7), das kürzlich im Irisiana Verlag erschienen ist.
Erleuchtung – was ist das überhaupt?
Das Wort Erleuchtung taucht in vielen spirituellen Traditionen in verschiedenen Varianten auf. Allen ist gemeinsam, dass der Weg des Erwachens als innerer Pfad der Achtsamkeit beschrieben wird, und zwar als Weg „der Hingabe, der Demut, der Geduld und des Mitgefühls“ (S. 22) hin zum inneren Frieden. Was zählt ist nicht der Endzustand, sondern die Erfahrungen auf dem Weg dorthin und die Fähigkeit, sie in den Alltag zu integrieren. Erleuchtung wird sozusagen zum Tagesgeschäft.
Auch Doris Iding erklärt die Erleuchtung als Übungsweg mit dem Ziel der Befreiung, des Erwachens, geboren aus der Sehnsucht, mit etwas in Verbindung zu treten, „das größer ist als das ICH“ (S. 23). Dabei helfen uns Übungen, die wir alle machen können, um zu größerem inneren Frieden zu gelangen. Und wir müssen das nicht abgekoppelt von der Welt im Kämmerchen sitzend und meditierend tun. Wir können diese Übungen wann und wo immer möglich machen und die Erfahrungen in den Alltag integrieren. Die Autorin verdeutlicht dies anhand ihrer eigenen Erfahrungen und der Erzählungen ihrer Schüler*innen.
In drei Atemzügen gelassener werden
Doris Iding weiß, wovon sie spricht: Sie ist eine erfahrene Yoga- und Meditationslehrerin, außerdem MBSR-Lehrerin und Autorin zahlreicher Bücher. Sie leitet weltweit Seminare und Ausbildungen zu den Themen Yoga, Meditation und Achtsamkeit. Und sie hat selbst einen zum Teil schmerzhaften Weg hinter sich, bis sie erkannt hat, dass es gar nicht viel braucht, um zu erwachen: „Inzwischen gelingt es mir, mich mit drei Atemzügen daran zu erinnern, dass meine wahre Essenz unverletzlich und unsterblich ist“ (S. 17). Und darum geht es ihr: um eine praktische Anleitung, um mit wenigstens drei bewussten Atemzügen nach innen zu blicken, zu spüren, frei zu werden und Frieden zu finden.
Gerade die Reduktion auf diese wenigen Atemzüge und die Konzentration auf die kleinen Schritte macht das Buch in meinen Augen alltagstauglich und interessant – für alle, die sich auf diesen Weg begeben möchten. Es verschafft einen schönen Überblick über die östliche Weisheit und wie sie heutzutage umgesetzt werden kann. Es finden sich darin viele kleine Übungen zu verschiedenen Bereichen, die der Autorin am Herzen liegen – zum Beispiel zu den Themen Achtsamkeit, reines Gewahrsein, Wertschätzung des Körpers, die Sinne, Gefühle und Energiefeld.
Erleuchtung aus energetischer Sicht
Sehr interessant fand ich ihre Darstellung zum Thema Energiefeld. Sie stellt ihr ein Zitat von C.G. Jung voran, das ich hier wiedergeben möchte:
„Man wird nicht erleuchtet, indem man sich Licht-Figuren vorstellt, sondern durch das Bewusstsein über die Dunkelheit. …“ (S. 89).
Indem die Autorin den Blick auf unsere Schattenseiten lenkt, regt sie dazu an, sich mit ihnen auseinander zu setzen. Denn nur, wenn es uns gelingt, uns schmerzhafter Erfahrungen bewusst zu werden und diese nach und nach mit positiven Keimlingen anzureichern oder sogar zu ersetzen, erreichen wir echte Veränderung. Und auch hier hilft ihre Technik der drei achtsamen Atemzüge: „Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit für Rückzug, um ein paar kleine, heilsame neue Samen in Ihr Energiefeld zu säen“ (S. 100). Meditation ist der Schlüssel, um die Saat an Mitgefühl für uns selbst und andere, Achtsamkeit und offenes Gewahrsein aufgehen zu lassen.
Grenzerfahrungen ins Überbewusste
Nach diesem ersten Teil, den Doris Iding unter dem Kapitel „Alltagsbewusstsein“ zusammengefasst hat, folgen Teil zwei „das trans-personale Bewusstsein“ und Teil drei „das reine Gewahrsein“. Diese beiden Teile eröffnen der Leserschaft eine Welt der Grenzerfahrungen, aber, wie die Autorin betont, „von ganz normalen Menschen, die mitten im Leben stehen, einer Arbeit nachgehen und/oder Kinder und Familie haben“ (S. 112). Es finden sich darin zahlreiche Erfahrungsberichte und Übungen, die zum Nachdenken anregen und das Gefühl vermitteln, dass es durchaus Bewusstseinsräume gibt, „die jenseits der sinnlichen Wahrnehmung und des Verstandes liegen“ (S. 115).
Aber auch hierbei ist es der Autorin wichtig, zu betonen, dass jede spirituelle Erfahrung – „und mag sie noch so tief sein – wertlos ist, wenn sie nicht in den Alltag, in die Beziehungen und in die Arbeit integriert wird“ (S. 140). Ihr geht es um „gelebte Spiritualität“ (S. 182), die es gilt, in jeden Lebensbereich zu integrieren, um die Welt ein Stück weit mitfühlender werden zu lassen.
Beitragsfoto: penguinrandomhouse.de
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