Gendern ist „in“, zeitgemäß, wichtig, unbedingt nötig, überflüssig, eine Modeerscheinung, eine Verunstaltung der Sprache, völlig unnötig, Gendern nervt: Kaum jemand bleibt gleichgültig gegenüber dem Thema Gendern. Und sehr viele Reaktionen sind erst einmal zurückhaltend bis hin zu ablehnend – so zumindest meine Erfahrung im Privaten.
Ganz anders sieht es da im Kreis meiner schreibenden Kolleg*innen im Netzwerk texttreff aus: Hier findet sich definitiv eine Pro-Gendern-Mehrheit. Und das ist auch völlig logisch: Wir schreiben und beschäftigen uns ständig mit dem Thema Sprache und ihrer Entwicklung, passen unsere Texte dem Wandel der Sprache an und entwickeln sie selbst mit. Dass das Thema Gendern in der Luft liegt, haben wir längst gespürt und zum Teil auch seit Jahren angewendet. Und trotzdem braucht es für manche von uns eine Umstellung und sicher auch die eine oder andere Fortbildung, um richtig gendern zu können.
Gendern, nein danke
Aber warum spaltet die Thematik derart die Gesellschaft? Woher kommt die Entrüstung gerade von Leuten, die Sprache oftmals benutzen, ohne groß darüber nachzudenken. Vielleicht aber gerade deswegen: Gendern fordert uns als Gesellschaft und als Individuen auf, uns Gedanken zu machen: Gedanken über all die Floskeln, die wir einfach übernommen haben, weil „man“ das halt so macht.
„Der Mann ist das Maß aller Dinge. Luise F. Pusch, Mitgründerin der feministischen Linguistik, hat daraus das Wortspiel gemacht: MAN = Mann als Norm.“ (Textlabor). Ich glaube, es ist ein Stück Bequemlichkeit, sich nicht mit der Veränderung unserer Sprache auseinanderzusetzen. Und ich meine, es wird höchste Zeit, dies zu tun.
Inklusion, ja bitte
„In der Sprache eines Volkes spiegeln sich seine Kultur, seine Seele und seine Denkweisen wider. Und: Weil Kulturen keine statischen, sondern sich verändernde Lebensausdrücke der Menschen sind, verändern sich auch Sprachen.“ (https://www.socialnet.de/rezensionen/10349.php). Der Linguist Guy Deutscher widmet sich der Frage, wie Eigenheiten einer Sprache mit der Gemeinschaft ihrer Sprecher zusammenhängen und ergründet die folgende Annahme: Je einfacher eine Gesellschaft, desto mehr Informationen vermitteln ihre Mitglieder in einem einzelnen Wort. Stimmt das, kann man das Gendern auch als Weiterentwicklung unserer Gesellschaft verstehen.
Eine Gesellschaft, in der die Rollen traditionell festgelegt sind und deren nicht-männliche Mitglieder unmündig behandelt werden, braucht keine sprachliche Differenzierung. Aber eine zunehmend emanzipierte, buntere, offenere und mutigere Gesellschaft muss und will mehr Klarheit haben. Je differenzierter und komplexer eine Gemeinschaft ist, desto differenzierter und komplexer drückt sie sich auch aus.
Gendern als natürliche Entwicklung
Gendern ist ein wichtiger Teil von Inklusion und will gelebt werden. Wir stehen erst am Anfang. Bis es zur Transformation kommt, müssen wir alle lernen, richtig zu gendern. Denn Sprache ist zum einen Ausdruck einer Gesellschaft und zum anderen eine Kunstform. Gendern kann beidem zu mehr Klarheit verhelfen und zu einer neuen Schönheit.
Wir müssen unsere Texte nicht mit Gender-Sternchen, dem Unterstrich, Gap oder Binnen-I vollpfropfen. Es gibt Gendertechniken, um die Schönheit der Sprache und ihren Fluss zu erhalten, ohne dabei einen Teil der Leserschaft auszuschließen. Diese sprachlichen Mittel und Kniffe müssen wir alle lernen, vorausgesetzt, wir haben Lust, uns mit unserer Gesellschaft weiterzuentwickeln und zu lernen. Dafür gibt es entsprechende Kurse, zum Beispiel von meiner Kollegin Sigi Lieb, die ich empfehlen kann: Gesprächswert (persönliche Empfehlung, keine Werbung).
Ich für meinen Fall werde bei der nächsten ablehnenden Reaktion zum Thema Gendern einfach mal nachfragen, ob mein Gegenüber sich weiterentwickeln möchte oder nicht. Mal sehen, welche Antwort ich bekomme.
Foto: Ute Freundl