Über Schreiben und Naturverbundenheit
Lisa Graf-Riemann schreibt, und zwar erfolgreich. Zu ihren Veröffentlichungen gehören Romane, Kurzgeschichten, Übersetzungen und Sachbücher. Außerdem ist sie Lektorin, gibt Kurse für kreatives Schreiben und bietet Führungen durch Berchtesgaden und seine historischen Orte an. Letzteres lässt ahnen, dass Lisa heimat- und naturverbunden ist. Was das mit ihrem Schreiben zu tun hat, wollte ich genauer wissen. Mehr über Lisa erfahrt ihr auf ihrer Website www.graf-riemann.de
Textyogi: Lisa, schilderst du uns bitte kurz deinen beruflichen Werdegang ab deinem Romanistik-Studium?
Lisa: Mein erster Arbeitsplatz war die Redaktion von »Kindlers Neues Literaturlexikon« in der Prinzregentenstraße in München. Ich habe neue Beiträge geschrieben und alte überarbeitet und aktualisiert. Das geschah im vor-digitalen Zeitalter meist im Lesesaal der Staatsbibliothek. Während das Lexikon über die Jahre auf über 20 Bände anwuchs, habe ich einen Sohn und eine Tochter bekommen, bin aufs Land gezogen und habe mein Biogemüse selbst gezogen.
Ein Multitalent: Volkshochschulleiterin, Dozentin, Autorin, Redakteurin – und Dolmetscherin
Später war ich dann Leiterin einer Volkshochschule, Dozentin, Autorin und Redakteurin bei Langenscheidt und habe allein oder in wechselnden Fachteams Lehrbücher für die Erwachsenenbildung verfasst und die Abwicklung umfangreicher Buchprojekte mit vielen Beteiligten betreut. Das war mein erstes Leben, vor dem Schreiben von Belletristik.
Textyogi: Du hast u.a. mal als Polizei-Dolmetscherin gearbeitet. Was hast du da so erlebt? Bist du dadurch auf die Idee gekommen, Kriminalromane zu schreiben?
Lisa: Meine Einsätze bei der Bundespolizei am Münchner Flughafen waren sozusagen mein Einstieg in die Welt des Verbrechens. Die meisten Delinquenten wurden wegen Verstößen gegen das Schengen-Abkommen festgehalten und mithilfe eines Dolmetschers vernommen. Einmal saßen mir auf der Wartebank der Bundespolizei drei Ureinwohner vom Amazonas-Tiefland gegenüber. Die Männer waren so klein, dass ihre Füße von der Sitzbank nicht bis zum Boden reichten. In einer Styroporkiste hatten sie ein Heilmittel von ihrem Stamm bei sich, das sie in Italien vorstellen wollten. Da sie weder ausreichend Geldmittel noch eine Einladung mit Kostenübernahme vorweisen konnten, wurden sie mit dem nächsten Flieger nach Brasilien zurückgeschickt. Es tat mir sehr leid, nur die Dolmetscherin zu sein und weiter keine Hilfe anbieten zu können. Man stelle sich vor, dass der Menschheit womöglich wegen Schengen ein Wundermittel gegen Krebs oder andere schwere Krankheiten entgangen ist.
Textyogi: Du hast wirklich schon einiges veröffentlicht – von Romanen über Lehrbücher und Übersetzungen bis hin zu Reiseführern. Aber was ist dein Hauptberuf – womit verdienst du dein tägliches Brot? Und wofür schlägt dein Herz – das muss ja nicht zwingend dasselbe sein J
Lisa: Das Schreiben ist tatsächlich mein Hauptberuf. Und da ich sehr vielseitig bin, und einige Longseller auf dem Markt habe, auch unter den Lehrbüchern, kann ich sogar davon leben, worüber ich ganz glücklich bin.
Schreiben als Beruf, von dem man leben kann
Natürlich ist der Roman die Königsdisziplin unter den Schreibprojekten. Er erfordert die größte Kreativität, Disziplin, geistige Anstrengung, und er kann auf vielfältige Weise gelingen oder nicht ganz so gut gelingen. Eine echte Herausforderung. Dagegen ist ein Reisebuch für mich leichter zu schreiben. Außerdem darf ich dafür viel reisen, ein sehr angenehmer Nebeneffekt. Aber da einige meiner Kriminalromane richtige Road Movies sind, erfordern auch sie viel Recherche und Reisen zu den Originalschauplätzen. Dass mein Finanzamt das auch, und bisher ohne Murren, mitmacht, finde ich sehr erfreulich.
Textyogi: Du arbeitest oft zusammen mit einem Kollegen – Ottmar Neuburger – wie muss man sich diese Zusammenarbeit als Autorenduo vorstellen? Einer hat die Idee, dann teilt man sich die Arbeit auf? Oder entwickelt ihr gemeinsam Ideen?
Lisa: Ottmar und ich schreiben nicht nur zusammen, wir leben auch zusammen. Was es nicht immer einfacher macht, aber nach drei gemeinsamen Krimis, einem Thriller und zwei Reisebüchern haben wir gelernt zusammenzuarbeiten, ohne uns dabei in die Haare zu kriegen. Jedenfalls meistens.
Zwei Autoren, die mit einer Stimme sprechen
Bei uns funktioniert es so: Wir plotten zusammen, denken uns also eine Geschichte aus und entwickeln Handlung und Figuren zusammen. Wir schreiben auch beide, teilen uns das Schreiben nach Szenen und Neigung auf, und tauschen unsere Texte so oft untereinander aus und überarbeiten sie gegenseitig, bis wir mit einer Stimme sprechen. Natürlich gibt es auch mal Zoff, Autoren sind ja Sensibelchen, also schmollt schon mal einer, wenn er zu stark kritisiert wird. Aber bisher kriegen wir es immer noch gebacken. Der Vorteil des gemeinsamen Schreibens ist ja, dass man nicht einsam vor sich hinbrüten muss, sondern einen Sparringspartner hat, zwei Perspektiven, in unserem Fall eine männliche und eine weibliche. Ich finde die Mischung immer noch gut. Das heißt nicht, dass ich zwischendurch nicht auch mal “fremdgehe”, literarisch gesprochen, oder allein schreibe. Abwechslung ist doch erst das Salz in der Suppe.
Textyogi: Wenn wir von Ideen sprechen, komme ich gleich auf meine nächste Frage: Was brauchst du, um kreativ sein zu können? Was entspannt dich – Natur, Berge, Yoga, Reisen oder von jedem ein bisschen?
Lisa: Zum Auftanken brauche ich persönlich zwei Dinge, nämlich Natur und Bewegung. Natur ist gut für meine Seele, meinen Körper spüre ich am liebsten in der Bewegung, gerade auch beim Bergaufgehen oder -fahren. Ich strenge mich gern körperlich an, gern auch ausdauernd oder an Grenzen gehend.
Yoga ist für sie Entspannung und Konzentration nach innen
Reisen ist so etwas wie Bewegung für den Kopf, Neues kennenlernen, fremden Menschen begegnen. Yoga ist für mich Entspannung und Konzentration nach innen. Wenn ich abwechselnd alles haben kann, geht es mir richtig gut.
Textyogi: Ich sehe einen deutlichen Zusammenhang zwischen deiner Arbeit und deiner Lust, Orte zu erkunden – seien es heimatliche oder ausländische Gegenden. Welche Rolle spielt deine Heimat bzw. das Reisen für deine Arbeit?
Lisa: Immer wenn ich aus meiner Bergwelt wegfahre, denke ich: Boah, so schön ist es bei uns! Da ist fast so etwas wie ein kleiner Abschiedsschmerz. Dann empfinde ich aber das Verreisen, die quirligen Großstädte, andere Länder, Sprachen, Kulturen, als absolut bereichernden Gegenpol zu meiner gewohnten Umgebung. Und wenn ich dann zurückkehre und die Silhouetten “meiner” Berge am Horizont auftauchen sehe, dann hüpft mein Herz und ich fühle ich mich reich beschenkt, dass ich beides haben kann.
Textyogi: Deine neueste Veröffentlichung ist ein Thriller zu einem sehr aktuellen Thema: „Kill Mr. Bitcoin“. War es schwer für dich, Zugang zu dieser Thematik zu finden? Hat sich dadurch dein Blick auf die Digitalisierung unserer Welt verändert?
Lisa: Sagen wir, es war nicht ganz leicht, aber wenn einer im Team für ein Thema brennt, dann springt recht schnell der Funke über. So ging es mir mit Bitcoin und den fantastischen Möglichkeiten, die mein Partner mir ausmalte: eine Währung, die ohne Vermittlung einer Bank funktioniert, für jeden, der Zugang zum Internet hat, unabhängig von seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten. Alle Transaktionen werden dezentral überwacht von der Community, in einer Art genialer offener Buchhaltung, der Blockchain, festgehalten und für alle Zeiten gespeichert, inflationsunabhängig, und in der Menge beschränkt, sodass niemand, auch keine Notenbank, eine Lizenz zum Gelddrucken bekommen kann.
Lohnenswerte Ansätze für eine bessere Zukunft
Es wird nicht mehr als 21 Millionen Bitcoin geben, und jeder, der dann zumindest einen hat, wird wahrscheinlich sehr zufrieden sein. Ja, mein Blick auf die Welt hat sich durch die Arbeit an dem Roman durchaus verändert. Und zwar zum Positiven. Es gibt nicht nur Bomben und Krieg und Überwachung durch Datensammeln. Es gibt auch andere Ansätze für eine bessere Zukunft, und es lohnt sich, wenn man sich damit ein wenig mehr beschäftigt.
Textyogi: Verrätst du mir, ob du schon an einer neuen Idee arbeitest und in welche Richtung sie geht?
Lisa: Es wird wieder um ein aktuelles Thema gehen, das viele noch für Zukunftsmusik halten, das aber schon kurz vor dem Durchbruch steht: künstliche Intelligenz, konkret: autonomes Fahren. Wie wird das sein, wenn immer mehr Autos und LKWs ohne Fahrer unterwegs sind? Welche Probleme können sich ergeben? Was macht den meisten Menschen dabei Angst? Wie wird das unsere Gesellschaft und unser Leben verändern? Natürlich wird das Thema eingepackt in eine spannende, persönliche und berührende Geschichte zweier Menschen: der Programmiererin Katja, die an der Entwicklung der KI für das autonome Fahren arbeitet und ihrem Gegenspieler, für den nur Profit zählt, der keine Rückschläge hinnimmt und schließlich Katjas Leben bedroht.
Textyogi: Das hört sich in der Tat sehr spannend an – vielen Dank für das Interview!
Lisa: Sehr gern!
Fotos: Lisa Graf-Riemann
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