#fragdenyogi: Ashtanga-Lehrer Manfred Gauper – ein Traditionspurist?

Die eigene Geschichte finden

Manfred Gauper unterrichtet Ashtanga Yoga im Münchner Jivamukti Yogaloft in der Buttermelcherstraße – Mysore und Led Classes. Er praktiziert diese fordernde Praxis seit 1997 – hat also zu einer Zeit damit begonnen, zu der Ashtanga Yoga noch alles andere als populär war. Seine Ausbildung hat er bei John Scott absolviert, weitere Lehrer waren Chuck Miller und Maty Ezraty. Manfred ist durch und durch Ashtangi – trotzdem setzt er bei Bedarf „Props“ ein – Hilfsmittel wie Blöcke, Gurte, etc. Mehr zu seinem Werdegang findet ihr unter https://www.ashtanga-munich.com/lehrer/

Manfred lebt mit seiner Frau Nina und seinen beiden Töchtern in München.

Yogatradition ist wichtig. Aber muss sie starr bleiben, oder darf man sich spielerisch auf sie beziehen? Über das Thema „Traditionspurist oder Mischling“ habe ich in einem früheren Beitrag geschrieben – siehe auch https://das-ist-text.de/yogatradition. Heute möchte ich wissen, wie Manfred dazu steht. Seine Antworten könnt ihr hier lesen.

Textyogi: Manfred, wie bist du zum Yoga gekommen und warum hast du dich für Ashtanga Yoga entschieden?

Manfred Gauper: Während meiner Ausbildung zum Shiatsu-Therapeuten kam ich in Kontakt mit einem Yogalehrer, der dynamisches Hatha Yoga unterrichtete. Kurze Zeit später lernte ich meinen ersten Ashtanga Yogalehrer kennen. Wir übten einmal die Woche im buddhistischen Center in Wien. Sofort fand ich Freude daran. Von Beginn an haben mir der Aufbau der Serie und der Aspekt des Wiederholens gefallen. Ohne dass ich viel mehr über Yoga wusste, spürte ich die Tiefe der Atmung und ihren Einfluss auf den Körper – wohltuend, ausgleichend und friedvoll.

Textyogi: Hast du auch andere Yogaschulen ausprobiert?

Manfred Gauper: Ich habe sehr viele verschiedene Yoga-Stile ausprobiert – vor allem Iyengar Yoga, Jivamukti Yoga und verschiedene dynamische Yogaformen. Außerdem Hatha Yoga, Kundalini Yoga usw.

Textyogi: Was spricht deiner Meinung nach dafür, einer Tradition verhaftet zu bleiben, bzw. was spricht gegen den Stilmix?

Manfred Gauper: Ich finde Traditionen grundsätzlich wichtig – sie erinnern uns an unsere Geschichte beziehungsweise an die History von Yoga. Gleichzeitig läuft die Zeit natürlich weiter. Der Mensch, die Natur und die jeweilige Kultur verändern sich und daher bevorzuge ich es, Tradition mit Innovation zu vereinen.

Alles verändert sich, wandelt sich und transformiert, um bestehen zu bleiben

So wie es sich auch in der Natur verhält, ist es natürlich auch in der Kultur: Unsere Form und die verschiedenen Ausprägungen von Yoga – alles verändert sich, wandelt sich, transformiert, um bestehen zu bleiben.

Diese Evolution ist nicht aufzuhalten – auch in Bayern werden Traditionen gelebt, aber dennoch schreitet die Moderne voran. Warum soll es beim Yoga anders sein? Ashtanga hat neue Yogastile entstehen lassen wie zum Beispiel Jivamukti Yoga, Power Yoga oder viele andere dynamische Yogaformen. Die ursprüngliche Form des Yoga in Indien ist fast nicht zu vergleichen mit dem heutigen, westlichen Yoga. Yogis waren Asketen und wanderten besitzlos mit ihren Lehrern durch die Lande.

Manchmal aber erreicht Innovation einen Punkt, an dem man sagt, ab nun wird Tradition wieder wichtig: Zu viel Neues kann auch wieder zurück zu Altbewährtem führen. Beides hat seine Berechtigung.

Textyogi: Kommt der Sprache im Ashtanga eine besondere Bedeutung zu – ich denke da an das konsequente Durchzählen – und wenn ja, welche?

Manfred Gauper: Die Sprache an sich hat immer eine besondere Bedeutung. Im A. spielt das Zählen eine sehr wichtige Rolle. Grundsätzlich ist für jede Asana eine gewisse Anzahl an Bewegungen und Atemzügen festgelegt. Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht auch früher schon gezählt wurde. Definitiv wird es in den Unterlagen nicht erwähnt, daher zählt dies eher zu den Innovationen im A. Yoga. Eingeführt wurde das Zählen von Guruji (K. Pattabhi Jois) zusammen mit Lino Miele und im Anschluss auch in der Literatur festgehalten (siehe die Bücher vom Lino Miele). Zu dieser Zeit wurde vermehrt der Mysore Style praktiziert. Als dann mehr und mehr „Westler“ Guruji besuchten, wurde das System des Vinyasa Count geformt bzw. ausgefeilt. Mit dem „Instrument“ des Zählens konnte Ashtanga auch von den Lehrern im Westen einheitlich unterrichtet werden. Und für Guruji wurde es einfacher, mehr Menschen in einer Klasse zu unterrichten.

Das Zählen erhöht auch die Bedeutung von Vinyasa (die Zusammenführung von Atmung und Bewegung) und stärkt zugleich den Fokus/die Konzentration. Mit dem Zählen bekommt die Ashtanga-Serie eine disziplinierte Form. Wird auf Sanskrit gezählt, kann weltweit einheitlich unterrichtet werden.

Textyogi: Ashtanga-Yoga ist eine sehr fordernde Praxis und sie legt dem Anschein nach großen Wert auf die körperliche Kraft. Ich habe schon Lehrer getroffen, die erst einmal zeigen, wo der Hammer hängt, indem sie sich von Bakasana in den Handstand heben und anschließend in Chaturanga Dandasana schweben. Aber geht es im Ashtanga-Yoga nicht um etwas anderes?

Manfred Gauper: Ashtanga heißt ja übersetzt acht Glieder, wobei diese nicht aneinander gekettet sind, sondern sich von einem Stamm aus ausbreiten und wachsen – ähnlich einem Baum.

Bekommt der Stamm genug „Nahrung“ werden auch die Äste (Glieder) breiter und kräftiger. Am Ende ergibt dies ein gesundes Holz mit allen Bestandteilen, die nötig sind, um eine gute Frucht hervor zu bringen, die dem Baum vom Nutzen ist und allen anderen in seiner Umgebung. Als Metapher gesehen sollte es beim Menschen auch so sein.

Die Glieder Yama und Niyama verdeutlichen den Umgang mit sich selbst und der eigenen Umgebung, was sich wiederum in der Praxis äußert: Sie kann selbstverletzend, egozentrisch oder aber verbindend, hingebungsvoll und demütig ausgeübt werden.

Das Glied Asanas entspricht der Körperhaltung und äußert sich so in der Praxis: mit Spannung oder ohne, aufrecht oder gekrümmt, kontrolliert oder genussvoll, zu kopflastig oder zu emotional.

Pranayama entspricht der Atem- bzw. Energiekontrolle und äußert sich folgendermaßen in der Praxis: zu kräftig oder zu ruhig/träge, unkontrolliert oder zu feurig, mit zu viel Willen bzw. zu stark mit den Emotionen gekoppelt.

Außerdem Pratyahara – bei diesem Glied sollen sich die Sinne nach Innen wenden. Eine von Pratyahara geprägte Praxis lässt sich nicht mehr so leicht von Geräuschen und anderen Teilnehmern ablenken, bleibt gut fokussiert. Ein gleichmäßiger Atem (fast geräuschloses Praktizieren), ein schöner Flow prägen diese Praxis.

Diese Stufe führt uns unmittelbar in die letzten drei Glieder, sie ist die Brücke zur meditativen Praxis. Diese drei Stufen – Dharana, Dhyana und Samadhi – stellen sich von alleine ein, je nachdem wie sich die Praxis und der Geist entwickeln. Die Praxis erfolgt mit Hingabe, genussvoll, relativ emotionsfrei und mit gleichmäßigem Atem. So wird die Praxis zum Flow, erfüllt von tiefer Konzentration, die in eine Meditation übergeht. Natürlich passt sich die Praxis auch dem Alltag an und umgekehrt.

Textyogi: Muss Ashtanga-Yoga mit der Zeit gehen und sich an die Übenden anpassen? Wenn man den Gerüchten Glauben schenken will, ging Ashtanga-Guru K. Pattabhi Jois zum Teil sehr grob mit seinen Schülern um. Funktioniert das heute noch wie damals – oder verschwinden die Gurus immer mehr aus dem westlichen Leben?

Manfred Gauper: Wie schon oben erwähnt, gibt es in unserer westlichen Welt nicht diese Form des Lehrer-Schüler-Verhältnisses, wie es auch heute noch in Indien praktiziert wird. Aber sogenannte „Gurus“ (jemand der dich von der Dunkelheit ins Licht führt) wird es immer geben, vielleicht sogar mehr denn je, nur muss man sie sich anders vorstellen.

So gibt es ja in allen wissenschaftlichen Zweigen – ob Natur oder Technik – Menschen mit sehr großem Wissen – sie werden oft ähnlich wie Gurus verehrt, mit Preisen übersäht, sie halten Vorträge in riesigen Sälen, sind Vorbilder für viele Menschen, teilweise folgen ihnen im Internet Millionen von Menschen.

„Jeder Mensch erfindet früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.“

Textyogi: Sich für Yoga zu entscheiden, heißt, sich für Selbst-Erkenntnis zu entscheiden – bzw. für den Weg dorthin. Dieser Weg kann steinig sein und ist nicht für jeden geeignet. Richtig oder falsch?

Manfred Gauper: Er-kennen mag wohl im ersten Augenblick als angenehm empfunden werden, hat aber meist mit Enttäuschung zu tun. Warum? Weil wir uns oft etwas anderes erwarten bzw. wünschen, weil wir eine gewisse Vorstellung davon haben, die mit der Realität oftmals nicht konform geht.

Man lernt Menschen kennen und formt sich ein Bild von ihnen. Lebt man näher mit ihnen zusammen, kommt oft die „Erkenntnis“ und schon trennt man sich wieder. So ergeht es uns auch mit dem eigenen „Selbst“. Beginnt man an sich zu arbeiten, kommen „Abgründe“ hoch, die man verdrängt hat oder in die tiefen Winkel der Seele verbannt hat. Das kann sehr unangenehm sein. Und: Auf dem Weg zur Selbsterkenntnis ist man mit Selbstdisziplin konfrontiert, an der viele scheitern.

Menschen mit großem Wissen sind nicht unbedingt glückliche Menschen, meist kämpfen sie mit Depressionen, weil sie erkennen, wie menschlich es ist, zu scheitern: Man läuft den eigenen Trieben hinterher und emotional schlägt man in alle Richtungen aus. Daher zu deiner Frage in Kurzfassung: Der Weg ist richtig, aber er ist schmerzvoll und steinig.

Dazu fällt mir dieser Satz von Nils Birbaumer ein: „Jeder Mensch erfindet früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.“

Textyogi: Wie schaffst du es, deine eigene Praxis lebendig zu halten – auch wenn die Anforderungen von Beruf und Familie an dir zerren?

Manfred Gauper: Einen Raum schaffen, wo du regelmäßig ungestört üben kannst. Ein Zeitfenster, das gleich bleibt. Ein angemessenes Maß, das dich zwar fordert aber nicht überfordert.

Eine Sequenz die auch mal kürzer sein kein (30 Min. oder 45 Min.). Einen freien Tag festlegen, an dem man weder praktiziert, noch zur Arbeit geht. Am Beginn der Woche aufbauend und entwicklungsorientiert arbeiten und gegen Ende der Woche die Basics üben oder eine kürzere Sequenz. Die Praxis soll so in den Alltag integriert sein, das es dich auf keinen Fall überfordert.

Textyogi: Vielen Dank für das Interview!

Fotos: Manfred Gauper by Richard Pilnick

Mehr zum Thema Yoga, Tradition, Leben siehe auch #fragdenyogi-traditionspurist-michael-forbes

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