#fragdenyogi: Yogalehrer Michael Forbes

„Am Ende steht Ergriffenheit“

Michael Forbes praktiziert seit unglaublichen 45 Jahren Yoga. Er leitet zusammen mit Margareta Eckl das Studio iYoga München und ist eine feste Größe in der Yoga-Szene in Deutschland und darüber hinaus. Michael wurde von Guruji B.K.S. Iyengar (verstorben 2014) zertifiziert und führt seither die von ihm gegründete Tradition fort. Ein Purist ist er, ja, aber nicht verschlossen: Wie ich Michael als meinen Lehrer kenne, blickt er offen auf die Entwicklungen unserer Zeit, die er beobachtet und kommentiert – ganz gleich, ob es um Yoga, Politik oder Fußball geht.

Textyogi:
Michael, wie bist du zum Yoga gekommen und warum hast du dich für Iyengar-Yoga entschieden?

Michael Forbes:
Schon als Kind (mit zehn oder elf Jahren) habe ich einen Hang zur Spiritualität an mir beobachtet. Ansonsten war ich ziemlich angepasst, gerne sportlich aktiv und normal. Yoga habe ich als Teenager im fortgeschrittenen „Gammel-Zustand“ kennengelernt. Durch verschiedene Umstände bin ich mit 16 ohne Abschluss von der Highschool abgegangen, wohnte dann in der Wohnung meiner Mutter, ohne offizielle Beschäftigung oder Betätigung. (Dies alles im westlichen Staat New York, USA.) Wir waren gesellschaftlich relativ isoliert in einer fremden Großstadt, ohne viele Bekanntschaften. Als ausgesprochen introvertierter Mensch machte ich es mir mit Fernsehen, Lesen und regelmäßigem Cannabis-Gebrauch gemütlich.

Aber auf Dauer ging das nicht: Die „normale“, spätpubertäre existenzielle Krise kam und ich litt unter Verzweiflung und Einsamkeit – darüber hinaus auch unter Verdauungsproblemen und schlechter Laune.

Meine Mutter, ihrerseits ein Taschenbuch-Junkie und wohl über meinen Zustand besorgt, schenkte mir ein Buch über Hatha-Yoga. Das hat sofort eingeschlagen. Ich konnte einen Großteil meiner unguten Gefühle, Verspannungen und Hoffnungslosigkeit wegüben und nahm mir vor, mich weiter in die Praxis zu vertiefen.

Den meditativen Zugang zur Körperlichkeit (und Sexualität) fand ich profund und stimmig. Und ich war wütend über meine bisherige Erziehung, bei der nichts dergleichen zu erfahren gewesen war. Ich fühlte mich betrogen. Das war 1972 und ich war 17.

Ein paar Jahre später habe ich an der Uni Musik und Tanz „studiert“, d.h. Kursen und Unterrichtsstunden beigewohnt, die mich interessiert/inspiriert haben, aber wieder ohne an einen „Abschluss“ zu denken. In dieser Zeit habe ich weniger methodisch bis gar keine Asanas geübt. Aber die Tanzschule (Modern Dance, „Limon Technik“ mit Ballett-Einfluss) hat mich ähnlich körperlich gefordert und zudem das Unterrichtserlebnis vermittelt. Zusammen in einer Gruppe tolle, fordernde Bewegungen unter strenger Beobachtung und Leitung des Lehrers zu üben, hat mir sehr gefallen. Die Yoga-Praxis hatte ich immer allein und nur aus Büchern heraus erlebt.

Erst Autodidakt, dann Schüler von Guruji

Schließlich habe ich wieder Asanas und Pranayama geübt, autodidaktisch. Erst 1982, in München, bin ich auf den Tipp eines Bekannten hin, zu einer älteren Frau in den Yogaunterricht gegangen – trotz meiner Abneigung gegen „Yogastunden“ (sie waren mir alle zu lahm und oberflächlich gewesen). Dieser Unterricht war lang und intensiv. Die Frau hatte sich selbst Yoga beigebracht, die Asanatechnik hatte sie aus „Licht auf Yoga“ von B.K.S. Iyengar.

Dies war meine erste Begegnung mit dem Meister. Eine Zeit lang übte ich wöchentlich in der Stunde und zusätzlich für mich allein. 1984 beschloss ich meine Weltreise fortzusetzen und landetet in San Francisco, wo die erste „International Iyengar Yoga Convention“ stattfinden sollte. Meine Erfahrung im dortigen Institut war der erste orthodoxe Iyengar-Yoga-Unterricht für mich. Die Convention selbst war auf vielen Ebenen beeindruckend, auch das Live-Erleben von B.K.S. Iyengar in dieser Situation war prägend.

So ließ ich meine Weltreise sausen, blieb knapp zwei Jahre in San Francisco und nahm an der Yoga-Lehrer-Ausbildung teil. Viele Stunden. Danach wollte ich nach München zurück und mein Studium der deutschen Sprache zu Ende bringen. (Diesmal mit Abschluss: das Große Sprachdiplom vom Goethe Institut!) Ich fing auch an, im kleinen Kreis Yoga zu unterrichten. Es war 1985.

Januar 1986 ergab sich die Möglichkeit, mit einer Gruppe aus San Diego, Kalifornien, mit nach Pune zum Iyengar-Yoga-Institut und zu B.K.S. Iyengar zu fliegen. Die drei Wochen im Intensivkurs dort und die folgenden zwei Monate haben mich weiter geprägt. Ich hatte meine Berufung gefunden, kam zurück nach München und fing an, so schnell wie möglich so viel wie möglich Iyengar-Yoga zu unterrichten und dieses System in Deutschland mit aufzubauen und zu etablieren.

Textyogi:
Hast du auch andere Yogaschulen ausprobiert?

Michael Forbes:
Wie oben erzählt, habe ich zehn Jahre autodidaktisch geübt. In Amerika war Swami Satchitananda aktiv und ich verwendete hauptsächlich sein Buch. Ich habe nicht viel recherchiert und bin eher intuitiv vorgegangen. Später habe ich mir einige andere Schulen angeschaut (Sivananda, Astanga, Yesudian, …), um besser Bescheid zu wissen. Auch einen längeren Intensivkurs in Shiatsu-Massage habe ich gemacht.

Textyogi:
Was spricht deiner Meinung nach dafür, einer Tradition verhaftet zu bleiben, bzw. was spricht gegen den Stilmix?

Michael Forbes:
Belesen und weltgewandt lässt es sich besser und sicherer leben. Als junger Mensch sollte man eine allgemeine Übersicht über die eigene Kultur und auch über andere Kulturen erarbeiten. Wenn man aber die eigene Berufung gefunden hat, dann bleibt nicht mehr so viel Zeit und Energie für Spielereien.

Iyengar-Yoga ist als echte Tradition unendlich tief verwurzelt in den menschlichen Wahrheiten, die uns von unnötigem Leiden befreien können.

Das Bild eines unsteten, erfolglosen Brunnenbauers kommt mir hier in den Sinn, der mal hier, mal da ein wenig an der Oberfläche kratzt aber nie so tief ankommt, dass er das lebenspendende Wasser in der Tiefe erreicht. In einer Tradition braucht man am Anfang Geduld, um sich das Rüstzeug anzueignen, das man für die späteren Entdeckungsbemühungen braucht. Diese Anfangsphase kann anstrengend und fad sein, ist jedoch nötig, um Fuß zu fassen. Die Stabilität und Herrlichkeit, die sich in der Praxis nach und nach entwickelt, ist es wert!

Textyogi:
Als Textyogi spielt für mich auch beim Yoga die Sprache eine große Rolle. Gerade im Iyengar Yoga fasziniert mich, was Worte bewirken können. Wenn wir bestimmte Muskeln ansprechen, tut sich etwas, auch wenn das vielleicht nur in der Vorstellung spürbar ist. Wie siehst du das? Welche Bedeutung hat die Sprache im Iyengar-Yoga?

Michael Forbes:
Die Yogapraxis an sich findet alleine statt, ohne Worte. Es ist eine „involvierende“ Bewegung des Bewusstseins von außen nach innen. Der Unterricht ist aber an sich Kommunikation. Im echten Unterricht versucht der Lehrer seine eigene Erfahrung einer bestimmten Haltung oder Bewegung in Worte zu fassen und dies den Schülern zu vermitteln. Alle Menschen sind unterschiedlich. Es gibt Schüler, die langsame, ausführliche Erklärungen mit vielen Worten besser verstehen; und andere, die intuitiver, „musikalischer“ denken und verstehen und weniger Worte brauchen.

Die sorgfältige Verwendung von Sprache hilft den Schülern, schneller und tiefer zu verstehen, ohne sie unnötig mit intellektuellem Ballast zu beladen.

Die besten Lehrer sind die, die in ihren Vorgehensweisen eine große Bandbreite beherrschen. Mal wortreich, präzise, bestimmt – mal ruhiger, inniger, mit mehr Stille – mal im Rausch, dynamisch, stürmisch – und so weiter. Das Poetische in der Kommunikation unterzubringen, ohne Schwulst oder Sentimentalität oder künstliche Süße ist eine Gabe.

Textyogi:
Wie schätzt du die Zukunft des westlichen Yoga ein: Wird es immer mehr Mischformen geben und Yoga-Studios, die eine eigene Ausbildung anbieten werden? Oder wird der Boom irgendwann wieder abnehmen?

Michael Forbes:
So Gott will, wird es eine weitere Vermehrung von Studios/Ausbildungen geben. Da das Potential an Schülern so riesig ist, müsste jeder engagierte Yoga-Übende und -Möchtegern-Yogalehrer, der etwas Talent hat, sich in andere einzufühlen und sich auszudrücken, eine Schülerschaft finden. Das ist der Vorteil unserer Gesellschaftsform, dass jeder sein eigenes Heil suchen kann.

Gerade Iyengar-Yoga ist allerdings am Anfang mit einer Hürde verbunden, die genommen werden muss: Die intensive Praxis, der Umgang mit leider nicht immer menschlich perfekten, höher qualifizierten Yoga-Lehrern und -Ausbildern, allgemein die Hierarchie – das muss man alles verkraften und dazu noch die anderen Notwendigkeiten des täglichen Lebens besorgen, wenn man eigenverantwortlich Iyengar-Yoga unterrichten möchte. Kein leichter Weg. Unsere Gesellschaft ist tolerant, aber der Spiritualität nicht unbedingt zugewandt. Man darf Yoga-Lehrer werden, aber es steht kein großer Preis in Aussicht, wenn man das tatsächlich geschafft hat. Eher viel Mühe.

Textyogi:
Was braucht der moderne, gestresste Mensch: traditionellen Yoga oder einfach irgendeinen Yoga, Hauptsache, er tut ihm gut und er spürt sich wieder?

Michael Forbes:
Irgendeinen Yoga, Hauptsache, er tut ihm gut. Das ist genug, sofern das Potential in dieser Praxis besteht, tiefer in das eigene ICH zu steigen und seelische Erkenntnisse zu erlangen. Dieses Bestreben braucht nicht gleich am Anfang im Vordergrund zu stehen. Zunächst soll der Körper etwas von seiner Verspannung, Trägheit und Leiden loswerden. Dann kommt man in die Lage, tiefer zu gehen.

Ich weiß nicht genau, was hier „traditionell“ heißt. Vielleicht eine direkte, konkrete Verbindung zum „Indischen“ mit viel Chanten und anderen Begleitaspekten der yogischen Kultur dort. Dies braucht der normale Anfänger tatsächlich nicht. Höchstens wenn man ein Bedürfnis für mehr Hintergrundwissen hat oder eine Orientierung darüber, wie Yoga entstanden oder sich entwickelt hat. Dann ist natürlich das Indische bzw. ein Gefühl für die indische Kultur unerlässlich. Ansonsten ist die unmittelbare Erfahrung vom eigenen Körper fundamental. Das braucht keinen kulturellen Hintergrund.

Textyogi:
Muss der Yoga mit der Zeit gehen und sich an die Übenden anpassen? Oder anders herum: Sollten sich die Übenden mehr auf die Tradition besinnen?

Michael Forbes:
Iyengar-Yoga setzt relativ strenge Maßstäbe an Intensität und Seriosität der Schüler an. Wir spielen zum Beispiel keine Musik während der Unterrichtsstunde ab und massieren den Schülern hinterher nicht den Nacken. Selbst sehe ich das aber nicht als ein Problem von „Anpassung an den Schüler“/„auf die Tradition besinnen“, sondern eher darin: Ist der neue Schüler dafür bereit und in der Lage dazu, diese „Strenge“ zu verdauen? Wir finden z.B. Musik aus der Konserve beim Üben meist als störend, da uns die Praxis mental viel abverlangt.

Beim Iyengar Yoga versuchen wir, verschiedene Impulse in einer Haltung miteinander in Einklang zu bringen – bis an die Grenze des Möglichen.

Wir träumen also nicht vor uns hin und die Erfahrung von Musik, die in einem anderen Zusammenhang erbaulich sein kann, wäre hier nur Ablenkung. Es gibt sicher Menschen, die etwas anderes im Sinne haben, als unsere relativ düstere Vorgehensweise. Wir bemühen uns wirklich, nicht unfreundlich zu wirken, aber die Leute, die ihre allerersten Schritte in die Welt der Spiritualität machen, sind vielleicht ein wenig eingeschüchtert, wenn die nächste Haltung URDHVA PRASARITA EKA PADA SIRSASANA heißt, wie wir das auf Sanskrit sagen. Sie können bei anderen Schulen andere Haltungen üben, die vielleicht SCHMETTERLING oder TAUBE genannt werden. Das ist dann nicht so exotisch …

Ambitionierte Schüler sollten also etwas Zeit und Mühe investieren, um die richtige Schule zu finden, so dass sie sich dort erstmal wohl fühlen und sich dann entwickeln können.

Textyogi:
Sich für Yoga zu entscheiden, heißt, sich für Selbst-Erkenntnis zu entscheiden – bzw. für den Weg dorthin. Dieser Weg kann steinig sein und ist nicht für jeden geeignet. Richtig oder falsch?

Michael Forbes:
Entscheidungen sind immer wieder zu treffen. Das, was ich jetzt wähle, prägt meinen künftigen Zustand und meine Möglichkeiten – ganz nach dem Sprichwort: „Diejenigen, die die richtigen Entscheidungen im Leben treffen, werden immer schöner.“

Wir alle müssen unser Dharma austragen

An uns haften aber auch aus der Vergangenheit entstandene Konditionierungen (Karma), die jetzt Gültigkeit haben. Verpflichtungen, die man eingegangen ist und Beziehungen, die noch bestehen, können nicht einfach so weggewünscht werden. Der Versuch, das zu machen, schafft meistens noch mehr Verwirrung.

Insofern könnte sich ein gewissenhafter Mensch in einer bestimmten Situation durchaus gegen Yoga entscheiden, auch wenn er vermutet, dass der Yoga ihm guttun würde. Prioritäten muss jeder für sich und sein Umfeld selbst setzen.

Verantwortung zu tragen für eine Gemeinschaft kann auch bedeuten, dass die eigene Praxis weniger Energie bekommt. Guruji Iyengar hat manchmal, wenn er in Erzählstimmung war, behauptet, dass er selbst viel weiter in seiner spirituellen Praxis in diesem Leben gekommen wäre, hätte er nur weniger Schüler gehabt. Das Unterrichten ist halt anstrengend und zeitraubend.

Aber anders gesehen, müssen wir alle unser Dharma austragen. Für sehr wenige bedeutet das, der Welt zu entsagen und sich ausschließlich der eigenen Praxis zu widmen. Man kann die Yoga-Praxis im größeren Sinne auch darin sehen, das zu tun, was einem das Gewissen als richtig präsentiert.

Textyogi:
Wie schaffst du die Gradwanderung, den Yoga nicht „weichzuspülen“ und dennoch zeitgemäß zu unterrichten?

Michael Forbes:
Die Frage so gestellt impliziert ein Kompliment, vielen Dank dafür. Gelänge es mir nur immer so …

Das Wort „zeitgemäß“ ist problematisch. Ich denke, der Blick nach außen, was die anderen machen, was gerade angesagt ist, dieser Blick bringt einen auf den Holzweg. Gerade Yoga ist ein so intimes Sujet und das Anleiten von Yogastunden so eine spezielle Situation, dass der Lehrer ständig angehalten sein muss, so nah wie möglich am eigenen Herzen zu bleiben und seine Intuition walten zu lassen.

Natürlich schaffen das regelmäßige Training und die Bildung des Lehrers die grundsätzliche Qualität des Unterrichts. Aber das, was einen Unterricht lebendig und einmalig macht, ist das unmittelbare Engagement des Lehrers und die Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler.

Ich selbst gehe heutzutage eigentlich nie mit einem festen Skript in einen Unterricht hinein. Dies sorgt auch jedes Mal für eine Art Lampenfieber. Wenn aber der Übergang zwischen Nicht-Unterrichten und Unterrichten geschafft ist und der Unterricht begonnen hat, dann fließt die Energie frei und braucht nur meine wachsame Aufmerksamkeit, dass die Leute das machen, was ich sage und dass ich sehe, was sie machen. Aus dieser Beobachtung heraus nährt sich der weitere Verlauf.

Am Ende steht – wenn das gut gelungen ist – keine Erschöpfung, sondern Ergriffenheit. Diese Ergriffenheit ist losgelöst von der „Tradition“ des Yoga, zeitlos. Wenn man das als Teilnehmer erlebt, dann ist das Gefühl wohl schon so, dass es etwas mit ihm unmittelbar und jetzt zu tun hat. Und so, doch, zeitgemäß.

Textyogi:

Vielen Dank für das Interview!

Ich danke. Michael

Foto: Michael Forbes

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