Ich liebe Licht und Schatten und ihre Spiele – auch meinen eigenen Schatten: Wenn ich morgens bei uns im Schlafzimmer Yoga übe und die Sonne scheint, dann sehe ich meinen Schatten an der Zimmerwand. Wie ein Gefährte steht er mir gegenüber und er sieht nicht unbedingt schön aus. Ich bin dann zum Beispiel in Virabhadrasana II – im Krieger II – habe die Arme super gestreckt, ein Bein tief gebeugt, das andere gestreckt und geerdet – aber mein Schatten an der Wand ist fast schon grotesk: Die Arme sehen irgendwie schlabberig aus, die Konturen verschwimmen, die Form ist überhaupt nicht klar.
Und doch bin ja ich das, ich, die Yogalehrerin, die versucht, die Stellung korrekt zu halten, den Blick nach innen zu richten. Ich stelle mir dann vor, dass meine Schatten das zeigt, was in mir fließt – meinen Atem, der durch den Körper nach außen tritt, als universeller Energiefluss. Und ich freue mich über dieses Schattenbild, das das abbildet, was sonst nicht sichtbar ist. Denn wir können nicht immer alles sehen – oft bleibt das Wesentliche für uns verborgen.
Yoga ist so viel mehr als Asana: Licht und Schatten
Und das liebe ich am Yoga: Es geht nicht nur um Körperübungen – auch bei dem Asana-fokussierten Yoga, wie es meist praktiziert wird, geht es nicht allein um die Stellungen. Sicher, die Ausrichtung ist sehr wichtig, die Verbindung zum Atmen, und die Entspannung in der Haltung. Aber das sind ja nur die Bedingungen, damit sich die Wirkung von Yoga entfalten kann. Nämlich als tiefe Zufriedenheit mit sich selbst und mit der Umwelt, als ein Gefühl des Freiwerdens von allen Konditionierungen, Vorgaben, Restriktionen. Und auch als ein Gefühl von Reibung an den eigenen Grenzen, die wir im Yoga ausloten, manchmal aushalten müssen, aber manchmal auch unterschreiten müssen, damit positive Veränderung passiert. Wer einmal eine Verletzung hatte, weiß, was ich meine. Yoga kann heilen, aber nur, wenn wir sehr achtsam mit unseren Körper umgehen und ihn gut kennen.
Es braucht also Licht und Schatten oder Yin und Yang – es braucht das Dynamische und das ruhige Element im Leben, damit ein Gleichgewicht entstehen kann. Das üben wir beim Yoga und diese Erfahrung versuchen wir, im Alltag umzusetzen, um ein erfülltes, glückliches Leben mit Verantwortung für unsere Mitmenschen und unsere Umwelt führen zu können. Yoga kann dabei ein wertvoller Ratgeber sein, mit den Schattenseiten des Lebens gut umzugehen, spricht sie anzunehmen und das Licht im Schatten zu suchen.
Yoga ist ein stilles Gespräch mit dir selbst
Yoga ist so viel mehr als ein Fitnesstrend, und sollte niemals als Fitnesstraining geübt werden. Vielmehr ist es ein stilles Gespräch mit dem eigenen Körper, eine Einkehr, die dich an Orte bringt, die eine immense Kraftquelle sein können. Wenn ich die zahlreichen Yogaapps mit ihren kleinen Vorschaufilmchen sehe, protestiere ich oft innerlich: Ja, ein schöner Körper ist wunderbar und der Körper sollte auch ein Tempel sein, der gepflegt werden will. Aber es geht doch nicht um Schönheitsideale, sondern um die eigene, innere Schönheit, die man nur bei sich selbst finden kann. Und da spielt es keine Rolle, wie man aussieht. Gesundheit spielt dafür eine Rolle, wir sollten unseren Körper sattvisch nähren – aber Six-Pack-Vorbilder sind meiner Ansicht nach nicht nötig.
Yoga ist wie Schreiben. Schreiben ist wie Yoga.
Was hat das mit Licht und Schatten zu tun? Eine Menge: Finde dein eigenes Licht und lass es dir nicht von anderen vorschreiben. Übe dich frei – oder schreibe dich frei: Denn beim Prozess des Schreibens findet etwas Ähnliches statt wie beim Yoga: Wir tauchen tief ein in eine Welt voller Gedanken – egal zu welchem Thema. In dieser Welt gibt es nur die Sprache, und die Suche nach den richtigen Worten, um ein Thema zu vermitteln. Und in diesen Worten, um welche es auch gehen mag, schwingt immer ein Mehr mit: ein Mehr an Bedeutung, das zwischen den Zeilen gelesen werden kann und soll. Und wenn du aus dieser Welt der Worte und Bedeutungen auftauchst, fühlst du dich befreit, gereinigt: Für eine gewisse Zeit, in der du mit dem Schreiben beschäftigt warst, warst du nämlich nicht mit dem eigenen Gedanken-Karusell verhaftet. Und das macht den Kopf frei, klärt den Geist – auch dann, wenn er in dieser Zeit richtig aktiv war, sogar hoch konzentriert – aber eben nicht mit den eigenen, ewig wiederkehrenden Themen verwoben.
Beim Schreiben gibt es natürlich auch Schattenseiten – nämlich dann, wenn einfach keine Worte kommen wollen, oder wenn das Thema zu sperrig ist. Auch hier gilt es, diese Phasen anzunehmen, und eigenen Strategien zu entwickeln, wie man sie bestmöglich nutzen kann. Mir hilft oft, etwas völlig anderes zu machen, um mich danach mit neuer Energie wieder an den Schreibtisch zu setzen. Vor allem aber hilft mir eine regelmäßige Yogapraxis – sie stimuliert meine Kreativität und ich schaffe es fast immer, danach wieder ein Lichtlein am Horizont zu sehen.
Fotos: Ute Freundl, Susanne Freundl