Perspektiven – darum geht es in diesem Beitrag: Ich schreibe darin, warum ich gern mal in die andere Richtung schaue, und wie gut dieser Richtungswechsel sein kann: für die eigene Entwicklung und für das Miteinander – im privaten wie im beruflichen Bereich.
Perspektiven auf den Kopf stellen
Im Yoga dienen Umkehrhaltungen wie z. B. der Kopf-, Schulter-, Hand- oder Unterarmstand dazu, die Welt aus der Umkehrhaltung heraus zu betrachten. Sie ermöglichen eine neue Sichtweise auf die Umgebung und auf sich selbst. Im übertragenen Sinn dienen sie der Erneuerung und der Klarheit im Geist: Wenn der Blick auf die Welt aus einer anderen Perspektive stattfindet, kann Neues entstehen – in vielerlei Hinsicht: Mut wird gefasst, eine Entscheidung getroffen, oder aber alte Muster erkannt und in einen neuen Kontext gesetzt.
Die yogische Interpretation des Perspektivwechsels kann und soll natürlich auf unseren Alltag übertragen werden. Und das funktioniert eigentlich in allen Dingen, die uns so beschäftigen: Im Job, in der Erziehung unserer Kinder oder in den Beziehungen zu unseren Freunden. Dieser Perspektivwechsel kann allerdings nicht von außen oktroyiert werden, sondern muss aus eigener Kraft erfolgen. Er muss aktiv eingenommen werden. Immer wieder neu, je nach Situation.
Beim Teamwork fließen verschiedene Perspektiven zu einem Wir zusammen
Im Job ist es sehr hilfreich, immer mal wieder die Perspektive der Kollegen, des Chefs oder der eigenen Mitarbeiter einzunehmen. Dann können wir nicht nur besser miteinander kommunizieren, sondern insgesamt erfolgreicher zusammenarbeiten. Teamwork entsteht dann, wenn wir bei allen Aktionen den Teamgedanken mit einbeziehen und als ein Wir für das Unternehmen, den Verein oder die Organisation agieren.
Der neue Trend zu Coworking-Räumen kommt dem entgegen. Denn auch das Sich-Begegnen im Raum schafft die Möglichkeit, den anderen mit neuen Augen zu sehen – und nicht nur als gesichtslosen Empfänger des x. E-Mails. Face to Face ist zwar nicht automatisch mit Perspektivwechsel verbunden, aber dieser wird erleichtert. Wenn wir uns jeden Tag neu auf den Arbeitsplatz und evt. einen anderen Schreibtischnachbarn einstellen müssen, werden wir immer flexibler. Manchmal mag das unbequem erscheinen, aber es eröffnen sich damit neue und spannende Möglichkeiten.
Auf Augenhöhe heißt auf Augenhöhe
Wenn unsere Kinder klein sind, nehmen wir gern ihre Perspektive ein – wenn wir ihnen etwas erklären wollen, knien wir uns hin, um auf Augenhöhe mit ihnen zu reden. Mit dem Baby sprechen wir in Babysprache und benutzen unseren ganzen Körper, um mit ihm zu interagieren. Beim Spielen mit dem Kleinkind versetzen wir uns in seine Lage bzw. in die der Spielfigur. Dieser Perspektivwechsel geschieht normalerweise ganz intuitiv.
Wenn dann die Stimmungsschwankungen des Pubertiers das Familienleben in Aufruhr bringen, vergessen wir das leicht. Wir bleiben in der Elternperspektive verhangen und kommen nur schwer davon los. Es hilft, wenn wir uns an die eigene Pubertät erinnern und versuchen, die Sichtweise des Jugendlichen einzunehmen, um die Dinge aus seiner oder ihrer Perspektive sehen zu können. Und dann findet sich möglicherweise leichter ein Kompromiss.
In Beziehung sein, heißt, sich aufeinander zu beziehen
Und auch in der Beziehung zum Partner, zu den Freunden, Bekannten, Verwandten oder Nachbarn gilt: Es fördert die Lebendigkeit und die Intensität der Beziehung, wenn wir immer wieder mal die Perspektive des anderen einnehmen – auch wenn das nicht unbedingt leicht fällt. Und es ist durchaus keine Schwäche, wenn wir zugeben, dass die Sichtweise des anderen vielleicht die bessere ist. Denn Erkenntnis ist zum Teil sehr harte Arbeit. Und es hat auch nichts mit Umfallen oder die Fahne wechseln zu tun, wenn wir erkennen, dass die eigene Perspektive nicht die richtige oder nicht förderlich ist.
Auch beim Schreiben trete ich in Beziehung zu meinem Text und zu den Lesern, für die ich schreibe. Und auch hier versuche ich, die verschiedenen Perspektiven zu vereinen – meine Sicht auf die Dinge, den Inhalt und die Sicht meiner Zielgruppe, meine Liebe zur Sprache und die Bedürfnisse meiner Kunden. Dies ist ein sehr kreativer Prozess, der mich immer wieder anhält, die eigene Sicht- und Schreibweise zu hinterfragen.
Und um abschließend noch einmal auf die Yogapraxis zurückzukommen: Es müssen nicht unbedingt Kopfstand und Co sein – auch im herabschauenden Hund ist der Kopf tiefer als der Rest des Körpers und somit ist auch diese Asana eine Umkehrhaltung – und eine Einladung, die Welt auf den Kopf zu stellen und eine neue Sicht auf die Dinge einzunehmen. Und last not least ist diese Yogahaltung sehr gesund für Körper und Geist!
Änliches Thema: The Lovers Academy, Kreativität braucht Licht und Schatten
Fotos: Ute Freundl, Sapna Richter