Was ist ein Trauma?
Der Begriff Trauma findet heutzutage in vielen Bereichen Verwendung – auch beim Yoga und in den Yoga-Ausbildungen. Mittlerweile gibt es therapeutisches Yoga, traumasensitives oder auch traumasensibles Yoga. Ich unterrichte seit über zehn Jahren und bin in dieser Zeit immer wieder mit dem Begriff konfrontiert worden. Einen Beitrag über Trauer und Yoga habe ich bereits veröffentlicht: Good bye darkness
Dabei habe ich festgestellt, dass das Thema Trauma ist ein sehr individuelles ist. Ein Trauma kann meiner Meinung nach nicht in einer größeren Gruppe angemessen „behandelt“ werden, sondern verlangt vor allem individuelle Aufmerksamkeit.
Trauma liebevoll heilen und innere Balance finden
Über mein Textnetzwerk, den texttreff, ist mir das wunderbare Buch „Schatten der Vergangenheit“ von Dunja Voos auf den Schreibtisch geflattert – ein wichtiges Buch, das viele angeht – die Betroffenen natürlich, aber auch alle, die sich mit dem Thema näher beschäftigen wollen.
Dunja Voos erklärt vorab, dass das Wort Trauma aus dem Griechischen stammt und „Wunde“ bedeutet. In ihrem Buch wird es verstanden als „fortgesetzte Reihe von unzähligen, schweren, psychischen Verletzungen, die bereits in der Kindheit erlitten wurden und sich bis ins Erwachsenenleben hinein wiederholten und fortsetzten“ (S. 12). Ein Trauma reicht also vom schweren Kindheits- oder Missbrauchstrauma bis hin zur namenlosen Angst.
Mit sehr viel Verständnis gibt die Autorin eine Übersicht über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten, lässt persönliche Erfahrungen einfließen und zeigt durch die Einordnung der Therapien ihre Kompetenz als Psychotherapeutin und Ärztin. Dunja Voos liefert auch die Gründe dafür, warum es kein schnelles Trauma-Überwinden geben kann. Sie regt vielmehr dazu an, sich mit dem eigenen Trauma auseinanderzusetzen, um damit immer besser leben zu können. Es gilt, für sich selbst die richtige Therapie zu finden – da muss zum Teil einfach ausprobiert werden, was stimmig ist. Dies kann ein schmerzhafter Prozess sein, aber das Thema Trauma ist vielschichtig und nicht einfach zu lösen – vielleicht auch nie.
Ein Buch, das Mut macht
Dennoch ist Dunjas Buch ein Buch, das Mut macht. Den Mut, aktiv zu werden, um in kleinen Schritten Linderung zu erfahren. Sie gibt dafür eine Reihe überaus praktischer Tipps, wie man sich auf einfache Weise selbst etwas Gutes tun kann. Dabei betont die Autorin wiederholt, wie wichtig dies für den eigenen Heilungsweg ist. Besonders interessiert hat mich, was sie über Yoga schreibt – denn Yoga gehört zu ihren Tipps, sich selbst zu helfen.
Was mir sehr gut gefallen hat, ist das großes Verständnis, das die Autorin gegenüber den Betroffenen zeigt: Beim Lesen spürt man, dass sie weiß, wovon sie spricht. Und Verständnis ist für viele ein erster Baustein auf dem Weg zur eigenen Heilung. Und auch hier findet sich wieder eine Schnittstelle zum Yoga – wirklichen Frieden finden wir nur in uns selbst. Um dahin zu kommen, ist es egal, woher wir kommen, welchen Weg wir nehmen, an welcher Kreuzung wir stehen. Alle Wege sind gut, wenn sie helfen, bei uns anzukommen.
Wie Yoga bei Trauma helfen kann
Dunja Voos betont zunächst, wie wichtig es ist, mehr Empfindsamkeit zu erlernen – und zwar für sich selbst und auch für andere. Damit dies gelingen kann, empfiehlt sie verschiedene Wege – dazu gehören z. B. „das Erlernen eines Instruments, […] Singen im Chor, […] Reisen, […] intensive Psychotherapie oder auch […] das Erlernen von Yoga, Tai-Chi, Aikido oder Tanzen“ (S. 47).
Um Trauma heilen zu können, geht es auch darum, enge Innenräume zu erweitern – damit sind die Innenräume gemeint, die bei traumatisierten Personen verschlossen sind – aufgrund eines Traumas. Es gilt diesen „Raum zu erweitern“ (S. 78). Dabei können Yoga und Meditation definitiv helfen. Im Yoga wird schließlich sehr viel mit dem Begriff des Raumes gearbeitet und dieser Raum soll mithilfe von Atemtechniken erspürt und vergrößert werden. Das passt finde ich sehr gut zu Dunjas Schlüssen: „Durch Atemübungen im Yoga (Pranayama) können wir die Fähigkeit der Lunge erhöhen, Atemluft aufzunehmen und zu halten. So machen wir die direkte, körperliche Erfahrung, wie es ist, durch Übung einen inneren Raum auszudehnen“ (S. 80).
Ihr Fazit ist, dass wir durch die neue Erfahrung mit dem Körper lernen, anders mit uns und mit anderen umzugehen: Durch die Selbsterkenntnis kommen wir zurück zur „Selbstwirksamkeit“ (S. 115): Wir gehen in Beziehung mit uns und unserer Welt und können mit dem anderen in ehrlichen Kontakt treten.
Selbsterkenntnis üben
Yoga strebt in der Tat die Einheit an – auf allen Ebenen. Davon kann jeder profitieren, der sich darum bemüht. Denn es bedarf der Übung. Und beim Yoga ist es wichtig, den richtigen Lehrer zu finden, der dies begleitet. Dunja fasst sehr schön zusammen, was absolut auch beim Yoga im Fokus steht:
„Ein Trauma zu überwinden heißt aus meiner Sicht auch, allen Gefühlen gegenüber offen zu sein und auch beobachten zu können, wenn man gerade wieder einmal übermannt wird. Es wird immer Phasen geben, in denen man vom traumatischen Erleben eingehüllt wird und Phasen, in denen man leicht Abstand findet“ (S. 154).
Meiner Meinung nach kann Yoga eine gute Stütze sein, dies zu erlernen. Denn es ist so, wie Dunja Voos schreibt:
(…) jeder Mensch hat seine ureigenen Traumata. Die permanente Auseinandersetzung damit ist eine permanente Auseinandersetzung mit dem Leben“ (S. 155).
Genau darum geht es auch, wenn wir Yoga üben: Es soll als Üben verstanden werden, als ein Üben für das Leben im größeren Einklang mit uns selbst und mit den anderen. Nicht umsonst wird von den Yogalehrern gepredigt, Yoga „off the mat“ – also auch außerhalb der Matte zu üben. Das ist mit Sicherheit die schwierigste Übung!