Eine Buchrezension über das neue Übungsbuch von Barbra Noh „Yoga – mit Kraft und Anmut leben“ ist ganz nach meinem Geschmack. Denn sie vereint die Themen, die ich auf diesem Blog am liebsten zusammenführe: Schreiben und Yoga. Barbra Noh hat eine Neuauflage ihres Buches aus dem Jahr 2015 herausgebracht. Das Buch ist im September im THESEUS-Verlag erschienen und umfasst 312 Seiten (Noh B. 2019 Yoga – Mit Kraft und Anmut leben. Theseus-Verlag, Bielefeld). In ihr neues Werk hat sie aktuelle Erkenntnisse aus ihrer Yogapraxis einfließen lassen und das Ganze sehr schön bebildert umgesetzt (Fotos von Christian Krinninger). Sie richtet sich damit an Yogapraktizierende, die die Prinzipien von Anusara® Yoga tiefer verstehen wollen und bietet u.a. Übungssequenzen verschiedener Länge und Schwierigkeit. Und ganz allgemein spricht sie alle an, die Yoga als Suche und Haltung zum Leben verstehen.
Ein Bildband mit Tiefgang
Der erste Eindruck: schwer, warme Farben, tolle Fotos – so gefallen mir Yogabücher. Denn ich finde, ein schönes Yogabuch ist wie ein Schmuckstück – es darf gesehen werden und sollte sich auch sehen lassen. Sicherlich sind auch trockene Sachbücher wichtig und nötig, um in eine Materie tiefer einzusteigen. Aber wenn es um eine gute Mischung aus Theorie und Praxis geht und nebenbei der Spirit von Yoga in einer Bilderwelt transportiert werden soll, dann darf das ruhig gefällig rüberkommen. Und das ist Barbra Noh gelungen.
Das Buch ist entsprechend der Anusara®-Prinzipien in die drei Teile „Attitude“, „Alignment“ und „Action“ unterteilt, die im Buch näher erklärt werden. Es wendet sich ausdrücklich an alle, die Yoga als Übung für das Leben verstehen, die „danach streben, ihr Leben mit Mut und Kraft, in Anmut und in Schönheit zu leben“ (Widmung). Dass dieses Streben Barbra Noh sehr wichtig ist und auch ihren eigenen Weg geprägt hat, macht sie gleich zu Anfang des Buches im Teil „Attitude“ deutlich. Hier gibt Sie einen Einblick in die Yogaphilosophie und findet dabei immer wieder auch den Bezug zur Asana- und Lebenspraxis, was ich sehr schön finde. Sie definiert Yoga als Technik, die uns den Alltag und unser Sein besser verstehen und seine „Sturmwellen“ (S. 9) leichter aushalten lässt. So leitet Barbra Noh zu zentralen Konzepten aus der Yogaphilosophie über, die sie prägnant erklärt. Auf diese Weise kann der Leser den Umfang der Yogaphilosophie bzw. der verschiedenen philosophischen Schulen erahnen, ohne überfordert zu werden.
1. Attitude: Yoga als Übung fürs Leben
In der Yogaphilosophie ist der Samen dafür angelegt, wie wir Yoga verstehen und üben sollen, damit wir Transformation erfahren können. Letztendlich geht es dabei um ein immer größer werdendes Bewusstwerden, um die Wirklichkeit zu verstehen mit dem Ziel der Erleuchtung. Dies können und sollen wir mittels der yogischen Praktiken wie Asana (Körperübungen), Pranayama (Atemtechniken) und Meditation üben. Was natürlich nicht einfach ist. Auf dem Weg begegnen uns zahlreiche Hindernisse, die in der Yogaphilosophie beschrieben werden. Im Buch werden die wichtigsten Konzepte, die uns auf dem Weg zur Erleuchtung begegnen, erklärt – darunter die Begriffe Sankalpa (Intention, die unser Handeln bestimmt), Tantra (mystische Strömung, alles ist eins), Duhkha (Leiden, wenn wir nicht im Einklang mit der Realität sind), Sukha (Leichtigkeit, in Harmonie mit der Wirklichkeit), Nicht-Anhaften (an Dinge, Menschen, Vorstellungen, die Vergangenheit), Schleier und Hindernisse – zu denen die Begriffe Maya, Kanchukas, Koshas, Kleshas, Malas gehören.
„Tantra lädt uns ein, das Leben so zu sehen, wie es ist“ (S. 26)
Die tantrische Perspektive der Yogaphilosophie ist die Basis des Anusara® Yoga und wird im Buch etwas ausführlicher erläutert. In dieser Tradition wid davon ausgegangen, dass alles Bewusstsein ist, alles ist Shiva. „Die Kraft dieses Bewusstseins ist Shakti. Gemeinsam erschaffen Shiva und Shakti […] die Welt“ (S. 25). Entsprechend dieser Sicht wird alles im Leben als heilig angesehen.
Der Geist spielt in allen Yogatraditionen eine entscheidende Rolle, denn Yoga wird auch als Zustand definiert, „in dem der Geist zur Ruhe kommt“ (S. 27). Die verschiedenen Yogastile zielen alle darauf ab, ihn entsprechend zu beruhigen, denn die Natur des Geistes ist unruhig, in Bewegung. Hier beginnt Barbra Noh, die Verbindung zu Anusara® Yoga einzuleiten: Dieser Yogastil basiert auf der tantrischen Perspektive, die die Bewegungen des Geistes zwar auch beruhigen will, aber in seiner Vielfalt anzunehmen sucht. Es geht weniger um Kontrolle, sondern mehr um ein liebevolles Betrachten und um das Entwickeln eines „Zeugenbewusstseins“ (S. 28), das heilsam sein kann.
Zentrales Konzept im Anusara® Yoga: Open to Grace
„Öffne dich für die Gnade“ als Lebensweg heißt, das Leben als Geschenk und als Wunder zu betrachten und in all seinen Aspekten anzunehmen. Ein wichtiges Konzept hierbei ist „Dharma“: Im Prinzip behandelt „Dharma“ die Sinnfrage und wie wir mit ihr umgehen. Gestalten wir unseren Weg aktiv und in unserem Sinne? Gehen wir dorthin, wo wir wirklich hinwollen? Um dies herauszufinden stellt Barbra Noh weitere Konzepte vor, die hilfreich sind – lebensbejahend, wahrhaftig und aus dem Herzen heraus.
Im letzten Drittel des Philosophie-Teils geht die Autorin auf die Selbstwert-Thematik ein und gibt Tipps für den richtigen Umgang bzw. den Weg als Yogi: Denn unser Weg wird eingeschränkt durch „Malas“, einschränkende Glaubenssätze, die uns hindern, uns wirklich gut zu fühlen. Yoga hilft dabei, diese Glaubenssätze anzuschauen und vielleicht festzustellen, dass sie gar nicht stimmig sind. Dies ist immer ein sehr persönlicher Prozess inneren Wachstums, „um die beste Version von sich selbst zum Vorschein zu bringen“ (S. 41).
2. Alignment: Anusara® Yoga als Mittel der Wahl
Im 2. Teil „Alignment“ ihres Buches stellt Barbra Noh die Universellen Ausrichtungsprinzipien (UPA) von Anusara® Yoga vor. Für sie bieten diese Prinzipien eine Orientierungshilfe, um sich auf die „bestmögliche Erfahrung“ zuzubewegen, „die man mit seinem Körper machen kann“ (S.57). Vorweg stellt sie einen kleinen Exkurs über die Ursprünge des Yoga und über die Entwicklung des physischen Yoga – Hatha Yoga genannt.
Als Methode umfasst Anusara® Yoga drei Säulen – wie oben erwähnt Attitude, Alignment und Action – Haltung, Ausrichtung und Handeln – die in jeder Anusara®-Stunde zum Tragen kommen. Werden diese drei Säulen in der Asana-Praxis umgesetzt, ergibt dies die „Gelegenheit […], die Ideale und Qualitäten zu kultivieren, die wir in unserem Leben verkörpern möchten“ (S. 68). Anusara®-Übende werden angehalten, die Ausweitung des Bewusstseins als höchstes Ziel der Praxis zu verstehen. Auf den weiteren Seiten des Alignment-Teils werden die fünf Universellen Ausrichtungsprinzipien erläutert, die die Basis der Anusara®-Methode darstellen und die drei Säulen Attitude, Alignment und Action nähren.
- Open to Grace ist ein Prinzip der inneren Haltung, das sich durch den Körper ausdrückt: Es bedeutet, ein gutes Fundament zu setzen, den Atem zu spüren und sich zu öffnen.
- Muskuläre Energie will über die Muskeln die Energie nach innen zu einem zentralen Fokuspunkt ziehen. Die Muskeln werden angespannt und nach innen gezogen, um die Gelenke zu stabilisieren.
- Innere Spirale, die sich weitet: Sie verbessert die Ausrichtung der Hüften und des unteren Rückens. Dabei werden die Innenseiten der Oberschenkel nach hinten bewegt und voneinander weg geweitet.
- Äußere Spirale, die zusammenzieht: ergänzend zur inneren Spirale wird das Steißbein nach unten verlängert und die Kurve im unteren Rücken beibehalten.
- Organische Energie – die ausdehnende Kraft: von einem bestimmten Fokuspunkt aus aktiviert fließt sie zur Basis einer Haltung.
Daneben werden weitere Aspekte der Methode vorgestellt wie z.B. die drei Fokuspunkte, die sieben Loops und verschiedene Anusara®-Formeln, die dabei helfen, die Methode anzuwenden. Es folgt eine Tabelle, in der die Anwendung der Prinzipien in den verschiedenen Haltungskategorien skizziert wird. Anschließend kommt der umfangreiche Teil „Asanas“ des Buches (ab Seite 99), der reich bebildert ist und sowohl Anfänger- als auch fortgeschrittene Ausführungen der Asanas beschreibt und diese in verschiedene Kategorien gliedert: Standhaltungen, Übergangshaltungen, Handbalancen, Umkehrhaltungen, Core-Stabilität, Hüft-, Oberschenkel- und Schulterdehnungen, Rückbeugen und Vorwärtsbeugen. Sehr schön finde ich, dass die einzelnen Kategorien auch farblich unterschieden werden, so dass man sich schnell zurechtfindet. Außerdem ist dieser Asanakatalog wirklich umfangreich und holt Anfänger und Fortgeschrittene gleichermaßen ab.
3. Action: Deine tägliche Praxis
Im dritten und letzten Teil des Buches geht es um Aktion, also um die tägliche eigene Übungspraxis. Barbra Noh stellt hier verschiedene Praxissequenzen anhand von Bildern vor – vom Sonnengruß für Anfänger und Fortgeschrittene über 60-Minuten-Sequenzen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, bis hin zu einem „Sweet Flow“ für Anfänger, einem „Moon Shine“ für alle Level und einem „Quick Fix“, der 20 Minuten dauert. Diese Sequenzen geben definitiv schöne Anregungen für alle Level.
Die Suche nach Erkenntnis eint die Yogis über die verschiedenen Traditionen hinweg
Mein Fazit: Dieses Buch gibt einen schönen Überblick über die Anusara® Yoga-Methode, ist aber auch eine Anregung für Übende anderer Stilrichtungen. Denn eines eint die Yogis über die verschiedenen Traditionen hinweg: die Suche nach Erkenntnis – über sich selbst, über das Leben, über das Sein. Eine persönliche Anmerkung zum Schluss: Ich wüsste gern, in wieweit sich auch ein System wie Anusara® Yoga weiterentwickeln darf – und zwar individuell durch Lehrer wie Barbra Noh, die dieses System leben und lehren. Aber darüber kann man bestimmt viel diskutieren.
Mehr über Yoga findest du auf meinem Blog – zum Beispiel hier: Wie hältst du es mit der Transformation?
Rezension, keine Werbung
Foto: Buchcover, abfotografiert von Ute Freundl