Mittelstand, quo vadis?

Unter dem Titel Mittelstand, quo vadis? möchte ich heute einen Gastbeitrag veröffentlichen, der die verzweifelte Lage einer Gastronomin beleuchtet – in Zeiten der Corona-Krise. Es ist der offene Brief einer lieben Freundin, die mit ihrem Mann um ihre Existenz bangen muss. Sie möchte gern anonym bleiben, aber ich hoffe, ihr Schreiben findet Beachtung! Einen anderen Beitrag zur Corona-Krise habe ich übrigens hier geschrieben: Corona heißt: Krone richten und weiter im Text

Was Corona für mich als Gastronomin bedeutet – eine Momentaufnahme

München, 01. April 2020
Ich bin Gastronomin (46). Aus Leidenschaft. Seit nunmehr 11 Jahren. Mein Mann ist Koch (49). Aus Passion. Seit Kindesbeinen. Wir betreiben ein gehobenes Restaurant in München mit insgesamt 15 Angestellten.
Bislang hätte ich – sofern man uns gefragt hätte – gesagt, dass es gut läuft bei uns. Wir sind erfolgreich. Aber erfolgreich – was heißt das eigentlich?

Nun, wir können unsere Leute bezahlen. Immer rechtzeitig. Können die Lieferanten bezahlen. Immer zeitnah. Können die Steuern bezahlen. Immer pünktlich. Die Pacht, die Versicherungen, die Gebühren rund ums tägliche Geschehen. Wir können unsere Miete, unsere Lebenshaltungskosten und die unserer beiden Kinder bestreiten. Urlaub machen wir selten. Geht nicht so leicht in der Gastronomie. Aber es geht uns gut. Wir sind gesund, haben eine liebe Familie, tolle Freunde und viele Gäste, die uns und das was wir machen, wertschätzen.

Corona hat den Mittelstand stillgelegt

Leute, die mich kennen, wissen, dass ich das Glas immer halb voll sehe. Ich bin eine Optimistin. Ich glaube, dass man damit auch am weitesten kommt im Leben. Nur so habe ich bislang immer alles geschafft. Das Studium der Germanistik, die Ausbildung zur Redakteurin, die Neuausrichtung zur Hochzeits- und Eventplanerin, die berufliche Veränderung zur Gastronomin – leicht war das alles nicht. Aber ich habe nie an irgendetwas gezweifelt. Ich wusste: Ich kann arbeiten. Jetzt ist das anders. Corona hat uns stillgelegt. Nicht gesundheitlich. Zum Glück sind wir bislang diesbezüglich verschont geblieben. Klar, die Gesundheit ist das Wertvollste. Unsere Eltern haben wir seit Wochen nicht mehr besucht. Sie mit allem Wichtigen versorgt.

Wir verstehen natürlich die Maßnahmen der Regierung, zu denen auch gehört, dass alle gastronomischen Betriebe schließen mussten. Wir sind still gelegt. Von heute auf morgen. Vollbremsung. Ein finanzielles Fiasko. Seit dem 16. März 2020 kommt nichts mehr rein. Täglich müssen wir eigentlich durchschnittlich 4.000 Euro Umsatz machen – nur um alle Kosten zu decken. Die gehobene Gastronomie ist knapp auf Kante genäht. Sofern man keinen Geldgeber im Hintergrund hat. Der tägliche Umsatz ist eine absolute Notwenigkeit. Auch das Trinkgeld bestreitet für Service und Küche einen Teil der Lebenshaltungskosten.

In der Regel funktioniert unser Hamsterrad folgendermaßen: Monatsanfang gehen Pacht, Betriebskosten und Geschäftsversicherungen vom Konto ab, dann, Mitte des Monats, die Umsatzsteuer, Ende des Monats die Gehälter und die Krankenversicherungen. Zwischendurch Zahlungen an Lieferanten, Instandhaltungen und notwendige Investitionen. Rücklagen zu bilden war leider die letzten Jahre so gut wie nicht möglich. Wir waren und sind zwar auch nicht verschuldet, im Rücklagen-Bereich sieht es aber mehr als düster aus.

Rücklagen – Fehlanzeige. Wie auch?

So gezweifelt an mir wie momentan habe ich noch nie. Auch mein Mann hadert mit der Situation. Sind wir unfähig? Haben wir falsch gewirtschaftet die letzten Jahre? Obwohl wir rund um die Uhr gearbeitet haben und keine im Luxus lebenden Gastronomen sind? Warum haben wir keine Rücklagen für eine solche Situation?
Als Geschäftsführer bekommen wir beide natürlich weder Arbeitslosen- noch Kurzarbeitergeld. Unsere Angestellten haben wir inzwischen auf Kurzarbeit umgemeldet.

Unbürokratische Hilfsmaßnahmen? Von wegen!

Letzte Woche mussten die Gehälter raus. Obwohl wir alle nur möglichen Steuern gestundet hatten, Pachtzahlungen gestoppt haben, Versicherungen ausgesetzt haben – wir waren mit unserer Liquidität am Ende. Der Dispo voll ausgeschöpft. Und das, obwohl ich kein „Dispo-Ausschöpfer“ bin. Habe versucht, mit unserer Bank Kontakt aufzunehmen. Habe die Soforthilfe in Höhe von 15.000 Euro beantragt. Das wäre für uns ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber besser als nichts. Habe bei der Bank wegen des KfW-Kredits angefragt, der von der Regierung als Hilfsmaßnahme versprochen wurde. Das sei ja alles unbürokratisch – hieß es. Von wegen! Lüge!
Ich bin eigentlich ganz gut ist in Sachen Bürokratie – aber ich stieß hier an meine absoluten Grenzen. Wollten einen 70.000 Euro-Kredit: Der Wahnsinn, was man da bei der Hausbank alles ausfüllen muss. Brauchte für die Zusammensuchung aller Unterlagen und das Ausfüllen nun mehrere Tage. Hoffe, dass ich alles richtig gemacht habe.

Kreditzusagen? Fraglich.

Inzwischen höre ich aus Gastronomen-Kreisen, dass gastgewerbliche Betriebe von der Creditreform in ihrer Bonität teilweise drastisch nach unten geratet werden. Wir sind im absoluten Krisenmodus und deutschlandweit wurde der Katastrophenfall aufgerufen. In solch einer Situation, in der die Banken sowieso ihre Schwierigkeiten mit unserer Branche haben, darf die Lage durch Ratingagenturen und Auskünfte zur Bonität nicht noch weiter verschärft werden. Fakt ist: Wir sind nicht mehr liquide und eine Kreditzusage für unser Unternehmen ist fraglich. Obwohl wir bis dato ein unverschuldetes Unternehmen waren.

Die Zukunft: düster.

Wir haben die Gehälter letzte Woche gerade noch auszahlen können. Jetzt, am Montag, kamen die 15.000 Euro Soforthilfe. Ein bisschen Liquidität , aber keine Lösung. Die nächsten Kurzarbeiter-Gelder werden wir nicht auszahlen können. Von unseren Lebenshaltungskosten ganz zu schweigen.
War letzte Woche im größten Loch meines Lebens. Was, wenn wir keinen Kredit bekommen, was wenn das noch Wochen so weiter geht? Was können wir machen? Ich muss zwei kleine Kinder betreuen, nebenbei alles regeln rund um den nicht mehr vorhandenen Betrieb und sämtliche Kosten laufen weiter. Wir hatten vor, unser jetziges Restaurant noch bis Ende Juli zu führen. Dann sollte ein Umzug in eine neue Location stattfinden.
Jetzt ist klar: Unser Restaurant werden wir nicht mehr öffnen können. Das schaffen wir finanziell nicht. Glücklicherweise kam uns unser Verpächter entgegen und wir konnten den Pachtvertrag nun bereits vorgezogen zum Ende März kündigen.

Ob wir im September 2020 unser neues Objekt – die Verträge dazu sind seit Herbst letzten Jahres unterschrieben – aufsperren können? Keine Ahnung. Das wäre unser Ziel.
Unsere Leute sind jetzt bis auf weiteres in Kurzarbeit. Die Steuern sind gestundet. Sind jetzt bereits verschuldet. Es wird mehr werden in den nächsten Monaten.
Die Bank würde uns nicht mal den Dispo kurzzeitig hochsetzen. Wir sind ja Gastronomen. Die letzten Heuler der Nation. So kommt man sich vor.

Neuer Mut durch Freunde und Familie

Warum ich inzwischen wieder Mut habe? Warum ich aus meinem schwarzen Loch rausgekommen bin? Weil mir Freunde und Familie zugesagt haben, dass, sofern wir in den nächsten Wochen immer noch einen Liquiditätsengpass haben sollten – von dem ich mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgehe, wenn null Einnahmen reinkommen – sie uns helfen würden. Mit privaten Krediten.
Ich habe letzte Woche ein paar Mal geweint vor Rührung. Bislang hatte ich einen Stolz. Nie hätte ich aktiv gefragt um Hilfe. Aber dieser Stolz ist nun dahin. Wenn einen alle Banken und auch die Regierung fallen lassen.
Für unser neues gastronomisches Objekt brauchen wir übrigens auch einen Kredit. Haben hierfür schon vor Corona bei Banken nachgefragt. Haben als unsere Altersvorsorge eine halb abgezahlte kleine Wohnung. Die wir gerne als Sicherheit dafür geben würden. Aber das ist egal. Selbst mit dieser Sicherheit bekommen wir keinen Kredit für ein gastronomisches Objekt.

Auch hier haben wir jetzt Glück: Freunde und liebe Gäste werden uns ein Darlehen gewähren. Mit unserer Wohnung als Sicherheit. Sonst müssten wir unsere gastronomische Zukunft nun beenden.
Unser aktuelles Restaurant hatte am 14. März 2020 nach elf Jahren zum letzten Mal geöffnet. An dem Abend wussten wir nicht einmal, dass es der letzte Abend sein würde. Bitter. Und traurig.

Wie können wir die Aussichten für den Mittelstand verbessern? Das ist jetzt die dringliche Frage!

Ich denke, dass nach Corona – wann immer das auch sein mag – viele Restaurants nicht mehr aufmachen können. Es wird eine Massenarbeitslosigkeit folgen. Depressionen. Krankheiten anderer Art.
Wir haben die Weisheit sicher nicht mit dem Löffel gefressen – aber unsere Regierung muss sehr aufpassen, dass der Mittelstand nicht stirbt. Wir sind bereits tot. Regierung und Banken retten uns nicht. Wenn, dann ist das die Familie, dann sind das Freunde und tolle Gäste.
Dafür bin ich dankbar. Aber ich bin auch sehr wütend. Darüber, dass unser bisheriges Schaffen offenbar nicht gesehen wird. Darüber, dass Gastronomen im Allgemeinen nicht für kreditwürdig befunden werden. Darüber, dass wir Mittelständler total allein gelassen werden.

Auch Versicherer machen es sich zurzeit leicht. Selbst mit einer 100-prozentigen All-Risk-Deckung in Sachen Betriebsschließung winden sich viele Versicherungsgesellschaften um Ausgleichszahlungen. Da herrscht unter den verschiedenen Gesellschaften Uneinigkeit. Manche zahlen, manche nicht. Willkür pur. Unsere Versicherungsgesellschaft zahlt momentan noch nicht.

Nach Ostern muss es weitergehen!

Spätestens nach Ostern müsste das gesellschaftliche Leben und damit auch die Wirtschaft wieder hochgefahren werden. Sonst sehe ich ganz schwarz. Man muss davon ausgehen, dass es weiterhin gerade im gastgewerblichen Bereich Einschränkungen wie Sitzplatzbeschränkungen und ähnliches geben wird- somit ist sicherlich die Reduzierung des Umsatzsteuersatzes auf 7 Prozent die wichtigste Maßnahme, um gerade bei dann noch niedrigem Umsatz mehr Rendite zu erwirtschaften. Nur so besteht überhaupt eine Chance, den Betrieb aus der bis dahin komplett überschuldeten Lage herauszuholen. Wir können ja in Zukunft den Gästen nicht das Doppelte oder das Dreifache fürs Essen und für die Getränke abverlangen. Dann kommt niemand mehr in ein Restaurant oder in eine Gaststätte!
Ich kann nur sagen: Bitte, liebe Politiker, helft uns. Sonst gibt es bald keine kleinen Gastronomen mehr… 

 

Foto: Ute Freundl

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