Viele reden über Inklusion, schreiben sie sich auf die Fahne, möchten sie vorantreiben. Aber es braucht nicht nur Good Will, sondern jede Menge Power und Durchhaltevermögen, um ein inklusives Miteinander zu schaffen. So wie es Tanja Rudolph und Sabine Richter mit ihrem Café Miteinand in Bad Tölz gelingt.
Tanja und Sabine haben beide Töchter mit einer geistigen Beeinträchtigung und wollen sich nicht mit den aktuellen Gegebenheiten abfinden: Denn es ist zwar so, dass der Arbeitsmarkt theoretisch per Gesetz immer inklusiver wird, aber de facto finden Jugendliche mit einer geistigen Beeinträchtigung schwer eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt. Und wenn sie tatsächlich einen Job finden, ist das meistens auf das Engagement der Eltern zurückzuführen.
Das zeigt sich schon während der Schulzeit und ich spreche aus eigener Erfahrung. Die letzten Berufsschuljahre sehen mindestens vier Wochen Praktikumszeit pro Schuljahr vor und ratet mal, wer die Praktika für die Jugendlichen klarmacht – richtig, das sind die Eltern. Kontaktaufnahme, Bewerbungsgespräch, Organisation des Fahrtweges, Nachbesprechung, all das liegt in den Händen der Eltern und wäre für die Jugendlichen allein nicht zu stemmen. Denn man muss sich folgendes vorstellen: Von klein auf wird ein Kind mit geistiger Behinderung betreut, am Anfang von den Eltern rund um die Uhr. Dann von der Kita, später im Kindergarten, dann kommt die Schule mit heilpädagogischer Nachmittagsbetreuung. Das Kind ist immer in einer geschützten Umgebung, denn normale Sozialkontakte sind schwer zu finden, müssen von den Eltern organisiert werden. Die Nachmittagsbetreuung ist oft die einzige Möglichkeit, Freundschaften zu pflegen – abgesehen von Kontakten über Sportaktivitäten.
Inklusion in der Schule – aber was dann?
Der bislang übliche Weg nach den verschiedenen Betreuungs- und Förderstätten führt in den meisten Fällen in die Werkstatt, aber auch immer häufiger an einen sogenannten Außenarbeitsplatz. Diese Beschäftigungsform bietet Menschen mit Beeinträchtigung die Möglichkeit, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erproben. Dabei werden sie weiterhin über die Werkstatt betreut, versichert und bezahlt. Nicht unerwähnt soll an dieser Stelle sein, dass die Arbeitskräfte (also die beeinträchtigten Menschen) in einer Werkstatt in etwa ein Achtel des Mindestlohns erhalten.
Von solchen Außenarbeitsplätzen gibt es zwar immer mehr, aber noch längst nicht genug. Darüber hinaus sind abweichende Pfade mühsam und müssen erst geebnet werden. Tanja und Sabine sind gut dabei und haben schon einiges erreicht, worauf sie stolz sein können. Ihr inklusives Café Miteinand in Bad Tölz ist ein Ort der Begegnung und der Wertschätzung zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen, ehrenamtlichen Helfern und Leuten, die jeden Donnerstag zum Frühstück ins Café kommen.
Ein Pop-up-Café der besonderen Art
Man muss sich das Café wie eine Art Pop-up-Shop vorstellen: Jeden Donnerstag von 8 bis 12 Uhr sind Tanja, Sabine und ihr Helferteam im Gemeindesaal der evangelischen Kirche für ihre 50 bis 60 Gäste da. Das Serviceteam wechselt und besteht im Schnitt aus sechs Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung. Und es klappt wunderbar: Die Zahl der Gäste hat seit Eröffnung im Jahr 2018 stetig zugenommen – trotz der coronabedingten Auszeit des Cafés. Das liegt mit Sicherheit an dem großartigen Gute-Laune-Engagement von Tanja und Sabine und ihren ehrenamtlichen Helfer*innen, aber vor allem auch an der Einzigartigkeit des Serviceteams: Die jungen Erwachsenen kommen mit dem Bus, zur Zeit aus der Montessorischule Aktion Sonnenschein in München und aus Penzberg. Mit der ganzen Besonderheit ihres Seins versprühen sie eine Atmosphäre, in der sich alle wohl und willkommen fühlen.
Inklusion geht uns alle an
Inklusion ist keine Sache für wenige, sie geht uns insgesamt als Gesellschaft an: Es geht um Menschlichkeit, um ein Leben mit Vielfalt und Chancen für alle, um Würde und Werte, und es geht um Taten. „Wir wollten einfach machen. Unsere Vorbilder für das Café waren u. a. das BalanDeli und das Toms Café in Holzkirchen“, erzählt Tanja. „Aber ohne Tanjas überschäumende Energie hätten wir es nicht geschafft, unsere Idee zu verwirklichen“; ergänzt Sabine.
Die beiden teilen sich die Arbeit und hatten am Anfang Unterstützung von der Diakonie in Bad Tölz. Mittlerweile haben sie die „SichtBar im Oberland gGmbH“ gegründet und tragen sich selbst. Darauf und die Meilensteine, die sie gesetzt haben, sind sie stolz – zurecht: Bei der Eröffnung 2019 haben sie im Café einen runden Tisch mit den Bürgermeisterkandidaten zum Thema Inklusion veranstaltet, wodurch sie viel Aufmerksamkeit bekommen haben. Anfang 2023 haben sie mit ihrem Team bei den Special Olymics Bayern die VIPs im Stadtmuseum verköstigt und zusätzlich das Café eine Woche lang bespielt. Mittlerweile betreiben sie ein Catering, werden für Hochzeiten und kleinere Veranstaltungen gebucht und leihen sich gelegentlich Giuseppe Messinas Foodtruck (https://www.food-truck.bayern/).
Diese Erfolge funktionieren nur durch die gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Powerfrauen und ihren ehrenamtlichen Helferhänden, die sich freuen, Teil des Teams zu sein. Für sein Engagement hat das Team Café Miteinand schon etliche Preise bekommen – darunter der Diakoniepreis 2020, der Lutherrose Preis und der Sparkassenpreis – außerdem gehört es zu den Preisträgern der Zukunftsstiftung Ehrenamt Bayern.
Inklusionscafé sucht Räumlichkeiten
Man könnte sagen, es läuft, aber was ihnen jetzt noch fehlt, sind passende Räumlichkeiten, um ihr Café und das Catering dauerhaft auf professionelle Füße zu stellen. „150 m2 für Café und Küche im Raum Bad Tölz – zu einem bezahlbaren Preis, das ist unser Traum“, so Tanja. Dann könnten sie sechs Jugendliche als Vollzeitkräfte einstellen, drei davon mit und drei ohne Beeinträchtigung, und so den Arbeitsmarkt ein bisschen bunter machen. Wer Informationen zu passenden Räumlichkeiten hat oder sich als Kooperationspartner vorstellen möchte, kann sie direkt ansprechen: info@cafemiteinand.de telefonisch unter 49(0)151-22387643
Und bitte weitersagen: Das Inklusionscafé sucht Räumlichkeiten – wer weiß was? Alles über das Café Miteinand findet ihr hier: https://www.cafemiteinand.de/
Foto Credits: Tanja Rudolph, Sabine Richter